Rückblick
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Bornaer Obdachlosenverein vor dem Aus
Jobcenter Leipziger Land muss Finanzierung der Arbeitskräfte kündigen / Hilfsangebot bedroht / Stadt Borna in der Pflicht

Borna. Der Verein Obdach St. Joseph in Borna steht vor dem Kollaps. Das Jobcenter der Arbeitsagentur muss dem Verein seine 17-jährige Unterstützung in Form der Bereitstellung von Arbeitskräften kündigen. Den Arbeitskräften hat der Verein fristgemäß gekündigt.

Der ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins Heinz-Jürgen Liebeskind: "Nächste Woche ist der Verein ein Rumpf ohne Gliedmaßen." Das Jobcenter zieht die Arbeitskräfte ab und hat keine andere Wahl, weil es nach Gesetzesvorgaben handelt. "Wir unterliegen der Aufsicht des Bundesprüfungsamtes. Das ist im Zuge der allgemeinen finanziellen Kürzungen zu dem Schluss gekommen, dass speziell diese Maßnahme in Borna nicht weitergeführt werden kann. Wir haben keine Wahl", erklärte gestern Peter Krüger, Leiter des Jobcenters Leipziger Land.

Liebeskind macht der Agentur für Arbeit keinen Vorwurf - "die können gar nicht anders und orientieren sich am geltenden Recht". Allerdings weiß auch der Vereinschef momentan nicht, wie die Hilfe für Betroffene in Borna und Umgebung künftig realisiert werden soll. Zwei hauptamtliche Kräfte musste er entlassen. Neun sogenannte AGH-Stellen werden ab Montag (7. März 2011) abgezogen. "Wir müssen unsere Arbeit ab nächster Woche komplett einstellen", so Liebeskind. Was insbesondere rund 100 Bedürftige betrifft, die vom Verein unterstützt wurden. Darunter aktuell sechs Menschen ohne Dach über dem Kopf.

Die Bereitstellung des Nachtasyls für Obdachlose ist Pflichtaufgabe der Stadt. Wie die das ab nächstem Dienstag leisten will, konnte dem Verein in einer gestrigen Besprechung im Rathaus auch noch nicht gesagt werden. Die Grundlagenvereinbarung, mit dem sich der Verein bei seiner Gründung vor 17 Jahren bereit erklärte, die Pflichtaufgaben der Stadt Borna zu erfüllen, wurde zwangsläufig aufgehoben "und durch uns gekündigt. Wir können es ganz einfach nicht mehr leisten", so Liebeskind.

Was mehr Betroffene zu spüren bekämen als gemeinhin angenommen. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 7516 Besucher im Obdachlosen-Treff in der Schulstraße gezählt.
Text: Thomas Lieb, Leipziger Volkszeitung (02.03.2011)
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Leipziger Verein betreut die Obdachlosen
St. Joseph steht vor seiner Auflösung

Borna. Die Betreuung von Obdachlosen ist in Borna auch weiterhin gesichert. Seit gut einer Woche liegt der Betrieb des Nachtasyls für Wohnungslose in der Mühlgasse in den Händen der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiative Leipzig. Der Verein folgt dem Verein Obdach St. Joseph, der nach dem Wegfall der bisherigen Finanzierung vor dem Aus steht (die LVZ berichtete).

Seit dem 8. März betreut der Leipziger Verein die Unterkünfte und Wohnungen, die die Stadt für Obdachlose bereithält. "Das hat uns sehr geholfen", erklärt Ordnungsamtsleiterin Silke Heisig. Für die Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiative kein Neuland. Der Verein, so Geschäftsführer Wolfgang Osterkamp, ist etwa in Eilenburg für die Obdachlosenbetreuung ebenso zuständig wie für die soziale Betreuung Bedürftiger. Zudem betreibt er soziale Möbelprojekte und Kleiderkammern im Landkreis Nordsachsen, aber auch im Raum Döbeln. Zunächst für diesen und den nächsten Monat ist die Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiative für die Obdachlosenbetreuung in Borna zuständig. Zudem hat der Verein der Stadt ein Konzept vorgelegt, demzufolge er auch den Tagestreff in der Schulstraße übernehmen will.

Allesamt Dinge, die bisher in den Händen des Vereins Obdach St. Joseph lagen. Der war seit nunmehr 18 Jahren im Auftrag der Stadt für die Betreuung Obdachloser ebenso verantwortlich wie für die Betreibung des Tagestreffs und die Betreuung von Mietern. Dabei war es auch zu Vereinbarungen mit den großen Bornaer Vermietern wie der Bornaer Wohnbau- und Siedlungsgesellschaft mit dem Inhalt gekommen, dass Menschen mit Geldproblemen beziehungsweise mit dem Umgang mit Geld derart betreut wurden, dass sie in jedem Fall ihre Miete bezahlen und somit gar nicht erst in die Obdachlosigkeit abrutschten.

Eine Aufgabe, an der der Verein Obdach St. Joseph mit Herzblut hing. Bis die Arbeitsagentur den veränderten gesetzlichen Bestimmungen folgend die Gelder für den Verein nicht mehr bewilligte. Deshalb, so Heinz-Jürgen Liebeskind, einstmals Bornaer CDU-Ortsvereinsvorsitzender und amtierender Vereinschef von Obdach St. Joseph, führt an der Liquidation des Vereins kein Weg mehr vorbei. Dafür werden heute (Donnerstag, 17. März 2011) die Weichen gestellt. Dann kommen die etwa 30 Vereinsmitglieder zusammen, um einen neuen Vorstand zu wählen. Dessen Aufgabe allerdings besteht lediglich in der ordnungsgemäßen Abwicklung des Vereins.
Text: Nikos Natsidis, Leipziger Volkszeitung (17.03.2011)
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St. Joseph: Letzter Akt am 20. April
Das Ende des Obdachlosenvereins: Kritik an der Stadt / Kommune sucht nach Alternativen

Borna. Am 20. April endet die Geschichte des Vereins Obdach St. Joseph. Auf einer letzten Mitgliederversammlung wird das allerletzte Kapitel des Vereins geschlossen, der nahezu 18 Jahre für das städtische Nachtasyl und die Betreuung sozial Schwacher zuständig war. Zugleich wird Kritik an der Stadt laut. Die sucht mittlerweile nach einer Dauerlösung für die nächtliche Betreuung von Wohnungslosen.

Frau F.* ist Hartz-IV-Empfängerin. Zugleich gehört sie zu den Ehrenamtlichen, die sich im Verein Obdach St. Joseph engagiert haben - konkret im Tagestreff in der Schulstraße, wo es kostengünstig etwas zu essen und zu trinken für sozial Schwache gab und wo sich Leute treffen konnten, die vom Schicksal eher gebeutelt sind. Dass der Verein jetzt wegen veränderter gesetzlicher Vorgaben keine Gelder mehr von der Arbeitsagentur bekommt (die LVZ berichtete), ist für Frau F. nur ein schmerzlicher Aspekt. Es sei auch "demütigend", so sagt sie weiter, "dass niemand von der Stadt" gekommen sei, als der Verein in existenzielle Probleme geriet.

Das sieht Heinz-Jürgen Liebeskind, als amtierender Vereinsvorsitzender sozusagen gezwungenermaßen Nachlassverwalter von Obdach St. Joseph, nicht viel anders. Natürlich sei der Verein Opfer veränderter politischer Bedingungen. Die Stadt aber habe sich, als die Probleme akut wurden, "vornehm zurückgehalten". Liebeskind: "Es hätte auch unter Leitung der Oberbürgermeisterin ein Krisengespräch geben können." Die Kommune aber, so Liebeskind weiter, der als CDU-Mitglied auch von den eigenen Parteifreunden enttäuscht ist, sei damit zufrieden gewesen, dass sich mit der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiative Leipzig ein anderer Verein zur Übernahme des städtischen Nachtasyls gefunden habe. Das letzte Stündlein des Vereins schlage nun am 20. April, wenn eine ausschließlich zu diesem Zweck zusammenkommende Mitgliederversammlung das offizielle Ende des Vereins zu beschließen habe.

Oberbürgermeisterin Simone Luedtke (Die Linke) erklärte, sie bedaure das Ende des Vereins. Die Stadt habe sich immer um Obdach St. Joseph bemüht. Jetzt gehe es darum, Angebote für die Übernahme der Aufgaben einzuholen, die bisher in der Regie des Obdachlosenvereins lagen. Die Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiative Leipzig sei vorerst bis Ende nächsten Monats für die Betreuung von Obdachlosen in den dafür bereitgestellten Wohnungen in der Mühlgasse zuständig. Gesucht werde ein Verein, der neben dem Nachtasyl auch für den Tagestreff, die Mieterbetreuung und die Kleiderkammer zuständig sei.

* Name ist der Redaktion bekannt.
Text: Nikos Natsidis, Leipziger Volkszeitung (30.03.2011)
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Ein schmerzlicher Abschied
Christlicher Obdachlosenhilfe-Verein in Borna steht vor der Auflösung

Borna. Am 20. April wird voraussichtlich die Geschichte des Bornaer Vereins Obdach St. Joseph enden. Fast achtzehn Jahre lang haben sich in diesem Verein Christen verschiedener Konfessionen um Mitbürger ihrer Stadt gekümmert, die in sozialen Schwierigkeiten stecken.

Die sozialen Spannungen der Nachwendezeit waren in Borna unübersehbar. Arbeitsplätze brachen weg, Mieten stiegen, Räumungsklagen häuften sich, eine stetig steigende Zahl von Menschen suchte Halt im Alkohol. Betrunkene, die auf Bürgersteigen lagen oder in Gruppen auf dem Marktplatz standen, gehörten damals fast schon zum Stadtbild, erinnert sich der damalige katholische Pfarrer Michael Teubner. Als er die Missstände Anfang der 90er Jahre in einer Rede vor den Bornaer Stadtverordneten ansprach, stieß er auf Widerstand: "Maßlos übertrieben!", hielt man ihm vor. "Solche Probleme haben die im Westen, aber doch nicht wir."

Unter den Christen der Stadt fanden sich einige, die Pfarrer Teubners Sicht auf die Lage teilten und zu Lösungen beitragen wollten. Mitglieder der freien evangelischen, der evangelisch-lutherischen und der katholischen Gemeinde gründeten 1993 den Verein Obdach St. Joseph und begannen mit einem montäglichen Treff für sozial Schwache im katholischen Gemeindesaal. Nach einem knappen Jahr zog die Initiative in separate Räume um und baute dort ein Beratungs- und Betreuungsangebot auf, das für die Betroffenen täglich erreichbar war. Es entstanden ein Tagestreff mit Mittagstisch und eine Kleiderkammer. Später übernahm der Verein auch die Notübernachtung für die Stadt Borna und eröffnete ein ambulantes Angebot betreuten Wohnens.

"Wir haben in den vergangenen Jahren vielen Menschen zu einer Wohnung verholfen", erzählt Regina Ezold, die Geschäftsführerin des Vereins. Die Arbeit von Obdach St. Joseph war nicht nur bei den Hilfsbedürftigen gefragt, die hier neben konkreter Unterstützung vor allem soziale Kontakte suchten. Nachdem sich das Blatt wendete und der Wohnungsnotstand einem -leerstand wich, begannen auch die Wohnungsgesellschaften die Dienste des Vereins zu schätzen. Bei Wohnungssuchenden, die hier betreut wurden, konnten die Vermietungsfirmen darauf vertrauen, dass die Miete regelmäßig fließen würde.

Zum Verhängnis geworden sind dem Verein nun die veränderten Förderregeln der Arbeitsmarktmaßnahmen. Wie im sozialen Bereich nicht unüblich hatte der Verein einen großen Teil der Leistung mit geförderten Beschäftigungsverhältnissen abgedeckt, die eigentlich dazu dienen sollen, Arbeitskräfte für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen. "Gewiss war das nicht die optimale Lösung", räumt Heinz-Jürgen Liebeskind ein, der als amtierender Vereinsvorsitzender nun vor der Aufgabe steht, den Verein aufzulösen. Auch wenn die Mitarbeiter häufig wechselten und keine fachliche Ausbildung in sozialen Berufen hatten, sei man bisher aber gut damit gefahren. Da die Arbeitslosenzahlen bundesweit gesunken sind, dürfen die Jobcenter ab sofort keine Stellen mehr fördern, die nicht in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden. Fast über Nacht stand Regina Ezold deshalb allein mit einer weiteren Mitarbeiterin da. "Mit ehrenamtlichen Kräften lässt sich das bisher Geleistete unmöglich auffangen", schätzt sie ein. Von den Politikern, die die Vereinsgründer einst berieten, fühlen sie sich jetzt im Regen stehen gelassen. Wie die Stadt die Obdachlosen-Notübernachtung dauerhaft fortführen will, die eigentlich eine kommunale Pflichtaufgabe ist, ist bis heute ebenfalls unklar. "Da wir die Mitarbeiter nicht aus der eigenen Tasche bezahlen können, haben wir keine andere Wahl als den Verein aufzulösen", bedauert Heinz-Jürgen Liebeskind. Eine bittere Situation für alle, die einst mit großem Enthusiasmus starteten. "Der Verein hat in hervorragender Weise und in unkompliziertem ökumenischen Miteinander zum sozialen Frieden in der Stadt beigetragen", sagt Michael Teubner, der seit 2002 nicht mehr in Borna ist. Ein ehemaliger Klient wohnt heute im Pfarrhaus und übernimmt dort Hausmeisterdienste. Der Pfarrer ist überzeugt: "Er ist wirklich zu neuem Leben gerettet worden. Allein für ihn hätte sich die Vereinsgründung gelohnt."
Text: Dorothee Wanzek, Tag des Herrn (10.04.2011)
Foto: Dorothee Wanzek

Auflösung des Vereins Obdach St. Joseph in Borna

In der Woche vor dem 1. Advent des vergangenen Jahres bekam die Geschäftsführerin des Obdach St. Joseph Borna e.V., Frau Ezold, telefonisch von der ARGE die Information, dass mit einem positiven Bewilligungsbescheid zur Bereitstellung von geeignetem Personal aus den Reihen der Langzeitarbeitslosen nicht mehr zu rechnen sei. Bisher konnte der Verein die Präventivarbeit der vor allem von Wohnungslosigkeit bedrohten Bornaer Bürger mit geeigneten arbeitslosen Mitmenschen leisten.

Es waren immer 8 bis 10 Frauen und Männer, die sich dieser Aufgabe für ein Jahr widmeten. Sie wurden durch Frau Schröter, einer ausgebildeten Sozialpädagogin, angeleitet und sollten bei den Hilfesuchenden das Schlimmste verhindern. Jeder hatte einen Vorteil: Der Obdach-Verein bekam Kräfte, welche die zuweilen sehr schwierige Aufgabe bewältigten und die ihrerseits über die ARGE ein angemessenes, aber festes monatliches Gehalt bekamen. Das klappte 17 Jahre lang, da BfA und ARGE froh waren, dass für deren Arbeitssuchende Arbeitsplätze durch den Verein bereitgestellt wurden.

Schließlich wurden am 8. März 2011 sämtliche zugewiesenen Arbeitskräfte abgezogen. Der Gesetzgeber verbot der ARGE, wegen einer 30-prozentigen Mittelkürzung, die Vereinsarbeit weiter zu unterstützen. Da andere Alternativen nicht zu erkennen waren, bedeutete dies das Aus für die Erfüllung des Vereinszweckes. Bitteren Herzens beschloss die Mitgliederversammlung am 20. April den Obdach-Verein aufzulösen, welcher sich nun "in Liquidation" befindet.

Obwohl die Hilferufe zur Rettung des Vereins an viele Verantwortungsträger, wie z.B. Landrat und Bundestagsabgeordnete, die sich bei einigen Anlässen mit der Vereinsarbeit schmückten, ergangen sind, war alles umsonst. Ein neuer Verein übernimmt nun, mit völlig anderen Prämissen, die Betreuung der Hilfesuchenden. Damit haben die Mitglieder allerdings ihre Bedenken. Jedoch ist die Stadt Borna froh, dass wieder jemand da ist, der diese unangenehme Arbeit erledigt. An den Verein Obdach St. Joseph selbst erinnert ein Kruzifix im Foyer der Bornaer St. Joseph - Kirche, also an jenem Ort, wo seine Arbeit vor knapp 18 Jahren begann.
Text: Heinz-Jürgen Liebeskind
Foto: Philipp Ramm
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