"Sie sind um ihr
Leben gerannt"
Sozialpreis für Flüchtlingshilfe -
Interview mit Projektleiter Torsten Hartung
Borna.
Die katholische Pfarrei Borna bekam für
ihre Migrantenhilfe den Sozialpreis der
Caritas-Stiftung im Bistum Dresden-Meißen.
Torsten Hartung (54) leitet dieses Projekt
und erzählt im Interview von der
ehrenamtlichen Arbeit. Er schildert, warum
es nicht reicht, eine Wohnung in der
Fremde zu haben und weshalb fünf Prozent
der Asylbewerber sofort wieder in ihre
Heimat zurückgeschickt werden sollten.
Frage: Wie kamen Sie zu
diesem Projekt?
Torsten Hartung: Ich bin ein
gläubiger Mensch, habe mit Gott gesprochen
und beschlossen, diesen Menschen zu
helfen. Ich bin zunächst in die
Asylbewerberheime nach Hopfgarten,
Elbisbach und Thräna gefahren - ich war
vorher noch nie dort gewesen - und war
sehr bewegt von den Schicksalen der
Flüchtlinge. Die meisten sind in ihrer
Heimat um ihr Leben gerannt und sehr
dankbar, jetzt hier zu sein.
Wie begann die Hilfe?
Zunächst war ich Mina, einem Flüchtling
aus Libyen unterwegs, der Arabisch,
Kurdisch und Englisch spricht, ich konnte
mich ja sonst nicht verständigen. Es ging
erst mal darum mitzubekommen, wo es
überall Probleme gibt. Das fängt damit an,
dass die Leute Briefe vom Amt bekommen,
die sie gar nicht lesen können. Wir
begannen, nach und nach ein Netzwerk
aufzubauen mit Menschen, die können und
wollen. Wir sind jetzt rund 20
ehrenamtliche Helfer und das funktioniert
hervorragend.
Um welche Bereiche kümmern Sie sich?
Dazu gehören Kindergarten und Schule,
Sozialamt, Asylbehörde, Deutschkurs - oder
wo kann das Kind Fußball spielen und woher
bekomme ich die Fußballschuhe. Ein
Schwerpunkt unserer Arbeit ist, dezentrale
Wohnungen zu finden, diese auszustatten
und die Flüchtlinge hier wirkliche
willkommen zu heißen.
Das bedeutet konkret?
Wir haben Wohnungen gesucht und gefunden
und im Sozialkaufhaus Möbel und Küchen
besorgt. Eine Wohnung zu haben ist das
eine, damit ist man materiell abgesichert.
Aber wir wollen darüber hinaus, dass die
Flüchtlinge hier Beziehungen knüpfen und
das Gefühl bekommen, wirklich zu Hause zu
sein.
Das heißt, miteinander Freizeit zu
verbringen?
Genau, wir haben Hoffest, Weihnachtsfeier
und Grillparty organisiert, waren
gemeinsam bei Konzerten. Es gab einen
Kochkurs, wo die Gerichte ihrer Heimat
gekocht wurden und Abende, an denen jeder
seine Geschichte erzählen konnte.
Haben die Asylbewerber auch Kontakt
zu anderen Deutschen außerhalb der
katholischen Kirchgemeinde?
Ja, wir haben zum Beispiel mehrere
Wohnungen im Frohburger Neubaugebiet. Über
die Kinder funktionieren Bekanntschaften
sehr gut. Und wir versuchen übrigens auch
Deutschen zu helfen, die nicht so viel
Geld haben, zum Beispiel indem wir für sie
eine Waschmaschine aus dem Sozialkaufhaus
besorgen.
Was benötigen Sie derzeit am
nötigsten für Ihr Projekt?
Wir brauchen vor allem Möbel und
elektrische Geräte, also Waschmaschinen
oder Couchgarnituren. Wir würden uns
freuen, wenn uns Leute wegen
Haushaltsauflösungen anrufen, wir kommen
hin und holen alles ab. Es gibt richtige
Wartelisten mit Namen von Menschen, die
auf Möbelspenden jeglicher Art warten.
Welches Resümee ziehen Sie nach
zwanzig Monaten Migrantenhilfe, welche
Erfahrungen haben Sie gemacht?
Gute Erfahrungen mit Migranten und
deutschen Mitbürgern. 95 Prozent der
Flüchtlinge sind integrationswillig und
sehr dankbar. Die anderen fünf Prozent
würde ich wieder nach Hause schicken, sie
haben zum Teil eine lange Vorstrafenliste
und sind gewalttätig. Diese Minderheit
will sich nicht integrieren und
tyrannisiert im Heim die anderen.
Versuchen
Sie, diesen Menschen trotzdem zu helfen?
Nein, die wollen gar nicht und da
verschwende ich keine Zeit. Strafrecht und
Asylrecht behindern sich an dieser Stelle
in Deutschland, das ist schlecht. Toleranz
hat Grenzen und die sind meiner Meinung
nach hier erreicht. Diese Leute schließen
sich durch ihr Verhalten selbst aus. In
der Schweiz werden sie sofort in ihr
Heimatland zurückgeschickt, ich weiß
nicht, warum das bei uns nicht geht.
Wie ist Ihrer Meinung nach die
Situation in den Asylbewerberheimen?
Es sind Notunterkünfte. Wenn man um sein
Leben gerannt ist, ist das schon in
Ordnung. Und es gibt dort Leute, die sich
unglaublich engagieren, das ist toll.
Wie vielen Familien konnten Sie
bisher helfen?
Es sind immer zu wenige.
Sie arbeiten rein ehrenamtlich?
Ja, das ist ein ehrenvolles Amt. Ich habe
selbst eine schwierige Lebensgeschichte
und will mich hier einbringen. Die
Dankbarkeit und die Begegnungen, die wir
dafür zurückbekommen, kann man nirgendwo
kaufen. Neulich hat jemand zu mir gesagt:
"Du bist Vater und Bruder für mich."
Wie bewerten Sie die Abschiebungen
von Familien, die immer wieder für
Schlagzeilen sorgen?
Es gibt das Dublin-Abkommen. Darin steht,
dass die Flüchtlinge in dem Land bleiben
müssen, wo sie zuerst Asyl beantragt
haben. Natürlich ist die Art und Weise,
wie diese Abschiebungen zum Teil ablaufen,
dramatisch und ich würde mir auch in
solchen Fällen mehr Einzelfallprüfungen
wünschen. Aber generell: Es handelt sich
hier um ein Gesetz und da wird man sich
was dabei gedacht haben.
Wo sehen Sie in der Migrantenarbeit
derzeit die größten Probleme?
Bei den Wirtschaftsflüchtlingen. Kürzlich
wurde eine politische Entscheidung
gefällt, die ich sehr begrüße: Wir müssen
Platz schaffen für die, die in ihrer
Heimat wirklich mit dem Leben bedroht
werden.
Woher kommen derzeit die
Asylbewerber?
Aus Syrien, Eritrea, Afghanistan und dem
Irak. Es sind meist religiöse
Minderheiten. Christen werden dort zum
Teil systematisch ausgerottet. Es gibt zum
Beispiel eine Familie mit acht Töchtern.
Bei ihnen wurde nach und nach ein Kind
entführt und die Eltern mussten Geld
zahlen, damit sie es zurückbekommen. Bei
ihrer jüngsten Tochter hatten sie nichts
mehr. Diese Tochter ist bis heute auch
nicht zurückgekommen. Die Familie ist
geflohen und jetzt in Kanada, den USA und
Deutschland verstreut. Und solche
Geschichten kann fast jeder erzählen, der
hierherkommt.
Kommunizieren Sie diese Schicksale?
Ich erzähle sie dort, wo wir gerade sind,
beim Bäcker, auf der Straße, wo ich mit
den Familien herumlaufe.
Helfen Sie als Christ allen
religiösen Gruppen?
Am Anfang dachte ich, dass ich keinem
Moslem helfe. Ich dachte, die schlachten
deine Glaubensbrüder und -schwestern ab,
für die mache ich nichts. Aber ich habe
dann erfahren: Wenn sich eine Hand nach
Brot ausstreckt, dann fragst du nicht, ob
derjenige Christ, Moslem oder Hindu ist.
Und das ist ja auch eine wichtige
Botschaft: Unser Glauben ist anders, wir
leben das Prinzip Liebe.