Geschichte leben
Flößberg/Frohburg (sg). Die Beschäftigung mit Geschichte und zugleich der Blick in die Zukunft Europas war Anliegen der zum siebenten Mal stattfindenden Internationalen Jugendbegegnung am Wochenende. Junge Polen, Franzosen und Deutsche legten im Flößberger Wald einen Weg frei, der künftig über das Gelände des KZ-Außenlagers führen soll. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges mussten Häftlingen hier Panzerfäuste produzieren. Mehr als 250 von ihnen kamen ums Leben.
Text: Leipziger Volkszeitung (20.08.2012)
Foto:
 
Das Gestrüpp der Geschichte lichten
Jugendliche aus drei Nationen befassen sich mit dem KZ im Flößberger Wald

Flößberg/Frohburg. Mit Rechen, Spaten und Sense näherten sich junge Polen, Franzosen und Deutsche vorgestern im Flößberger Wald der Geschichte: Sie legten Teile eines Weges frei, der künftig über das Gelände des KZ-Außenlagers führen soll. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs mussten hier Häftlinge Panzerfäuste produzieren; mehr als 250 von ihnen kamen ums Leben. Sich mit Geschichte befassen und zugleich eine Brücke in Europas Zukunft zu bauen, das war Anliegen der zum siebenten Mal stattfindenden Internationalen Jugendbegegnung.

Was vor fast sieben Jahrzehnten im Flößberger Wald geschah, die Natur versucht immer wieder, die Spuren der Zwangsarbeit, der Gewalt, des Todes zu übergrünen. Zu jenen, die die Erinnerung an das Zwangsarbeitslager der braunen Machthaber wachhalten wollen, gehört seit Jahren die Kindervereinigung in Leipzig mit ihren in Frohburg beheimateten Jugendcamps. Sie bringen unter dem Leitgedanken "Erinnerung bewahren - Europa gestalten" Sommer für Sommer Heranwachsende verschiedener Nationen zusammen. "Die Menschen lernen sich so besser kennen", sagt Jérémy. Der 16-jährige, der in der Bregane lebt, hält geschichtliches Wissen für unverzichtbar, vor allem auch über die Jahre des Faschismus in Deutschland, die auch über sein Land viel Leid brachten. "Vor allem geht es mir um die Ideologie, die dahintersteht", sagt er. Er mache sich schon Sorgen, dass so etwas wieder geschehen könne, wenn auch in anderer Form.

"Was hier geschehen ist, ist Teil der Geschichte. Daran sollte man erinnern", meint auch Sophia aus Lauffen am Neckar. Gemeinsam mit Lisa (14) und Nicole (14) aus Frohburg rückt die 13-jährige Brombeerranken und hohem Gras zu Leibe. Autan-Geruch liegt in der Luft. Zwischen den hohen Kiefern, wo sich noch Reste der Produktionshallen und der Bunker befinden, soll einmal ein Rundweg die Stationen des Erinnerns verbinden. Tage zuvor war Hans-Ulrich Dietze von dem Geschichtswerkstatt Flößberg e.V., der sich seit vielen Jahren um die Erforschung und Kenntlichmachung des Lagers kümmert, mit den Jugendlichen über das Areal gegangen. "Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, was hier geschah - damit es sich nicht wiederholt", sagt Nicole.

An die Zeiten, als Krieg und Gewalt das Bild Europas prägten, zu erinnern, sei richtig, sagt Patryýa (16): "Aber wir sollten keinesfalls nur an das Schlechte denken." Das bekräftigt ihre polnische Freundin Matgorata (16) und nennt das Frohburger Camp als ermutigendes Beispiel: "Die Atmosphäre ist herzlich. Wir haben viele Freunde kennengelernt." Für Carina, die in Leipzig Kulturwissenschaften studiert und die seit Jahren als Betreuerin dabei ist, ein gutes Zeichen: "Ein solcher Austausch ist das Beste, was man vorbeugend gegen Rassismus machen kann."

Das Beschäftigen mit Geschichte hat viele Facetten. Das Camp, in der Jugendbegegnungsstätte der Kindervereinigung in Frohburg angesiedelt, umfasste mehrere Workshops und Ausflüge. Eine der Touren zeigte jüngste europäische Einigungsgeschichte auf: In Leipzig begab sich die 20 Köpfe starke Gruppe auf die Spuren der friedlichen Umwälzungen 1989/90. Ein Video über das Camp entstand. Die Recherchen und Konzepte für das Lagergelände im Flößberger Wald sind demnächst nachzulesen auf einer neu gestalteten Webseite (www.fisc4.eu). "Wir wollen vermitteln, was geschah, ehe eine Einigung Europas möglich wurde", sagt Klaus Winkler, der die Treffen seit Jahren organisiert. Und damit einen kleinen Beitrag leisten, jene Chancen zu nutzen, die aus diesem Prozess der Verständigung erwüchsen. "Vor ein paar Jahrzehnten haben Menschen jener Völker, die heute hier im Wald gemeinsam arbeiten, aufeinander geschossen." Das sollte man sich vor Augen führen. Den besten Weg, einander näherzukommen, sieht Winkler darin, "interkulturelles Lernen selbst zu erleben".
Text: Ekkehard Schulreich, Leipziger Volkszeitung (20.08.2012)
Foto: Jens Paul Taubert
[zurück]