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Papst ist ab heute zu
Besuch
Höchste Sicherheitsstufe für Benedikt XVI.
/ Wulff setzt auf "befreiende Botschaften"
Berlin.
Wer jetzt noch sein Fahrrad vor dem
ARD-Hauptstadtstudio stehen hat, ist
selbst Schuld. Ab heute früh (Donnerstag,
22. September 2011) ist der Bereich rund
um den Bundestag wie leer gefegt. Autos,
Motorräder, Fahrräder - was nicht
umgeparkt wurde, ist abgeschleppt. Auf
Kosten des Besitzers natürlich, wie die
ARD auf zahlreichen Zetteln erklärt, die
seit Tagen rund um das Gebäude hängen.
Bei der Bild-Zeitung hat man es
bekanntlich gerne eine Nummer größer:
2.880 Quadratmeter, um genau zu sein.
Der
Axel-Springer-Verlag verhüllt sich in
einer überdimensionierten Version der
Bild-Titelseite vom 20. April 2005. "Wir
sind Papst!" Ob Benedikt XVI. diesen
Willkommensgruß in der Stadt mit neun
Prozent Katholiken sehen wird, ist
fraglich. Die Berliner haben sich den Tag
über auf zahlreiche Sperrungen
einzustellen, für den Papst gilt die
höchste Sicherheitsstufe. Auch für die
Abgeordneten im Parlament gibt es
Einschränkungen. Wer zwischen den Gebäuden
des Bundestags pendeln muss, dem wird in
einem internen Schreiben "dringend
empfohlen", dies über die unterirdischen
Verbindungen zu tun. Auch wenn die
Hoffnung auf revolutionäre Worte des
Pontifex im Vorfeld gedämpft wurde, wagte
Bundespräsident Christian Wulff -
Katholik, geschieden, neu verheiratet -
einen Vorstoß: "Die Millionen Menschen,
die in konfessionsverschiedenen Ehen
leben, und die Millionen
wiederverheirateten Katholiken, aber auch
viele andere Gruppen erwarten befreiende
Botschaften."
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Text: Maja Heinrich, Leipziger Volkszeitung (22.09.2011) Foto: dpa |
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Papstfieber ohne
Ansteckung
Das Interesse am Besuch von Benedikt XVI. in
Thüringen hält sich in Grenzen
Erfurt. Der Papst kommt und Deutschland
ist im Ausnahmezustand. Autobahnen werden
gesperrt, Fußballspiele verschoben,
Kanaldeckel versiegelt. In Erfurt reagieren
viele Menschen bereits genervt.
Gegendemonstranten wollen in der Stadt eine
religionsfreie Zone errichten. Doch
ausgerechnet in Thüringen, dem Kernland der
Reformation, erhoffen sich Katholiken und
Protestanten vom Papst einen Aufbruch zur
Annäherung.
Das Papstfieber ist leider nicht
ansteckend. Ute Banse hat ihren kleinen
Kirchenladen direkt am Erfurter Domplatz mit
Papstdevotionalien vollgepfropft, doch der
Ansturm blieb bislang aus. "Es gibt so eine
miesmacherische Stimmung. Immer wird nur über
die Kosten geredet", klagt die Inhaberin. Am
besten verkaufe sich noch der Ratzefummel,
ein Radiergummi für die kleinen
Bleistiftsünden. Sie hofft, wenigstens für
die 300 Pilgerhocker Abnehmer zu finden, wenn
am Sonnabend direkt vor ihrem Laden am Dom
die große Freiluftmesse mit 30.000 Menschen
gefeiert wird. Wegen der
Sicherheitsbestimmungen beginnt der Einlass
bereits um vier Uhr in der Früh. Wer nah am
Papst sein will, braucht Steherqualitäten -
oder einen Hocker.
In Erfurt gleicht der Besuch des
Oberhauptes von weltweit 1,2 Milliarden
Katholiken einem Meteoriteneinschlag.
Sämtliche Hotels der 200.000 Einwohner
zählenden Landeshauptstadt sind seit Monaten
ausgebucht. Es gibt schulfrei, damit Pilger
in Klassenräumen unterkommen. Jede Minute,
die Benedikt auf Thüringer Boden verbringt,
ist wie in einem Drehbuch penibel verplant.
Morgen um 10:45 Uhr wird er mit dem
Kanzler-Airbus von Berlin aus auf dem
Flughafen landen. Ministerpräsidentin
Christine Lieberknecht (CDU) trifft ihn zu
einem Vier-Augen-Gespräch. Die evangelische
Pastorin will mit Benedikt nicht über die
Rolle der Frau in der Kirche sprechen,
sondern über die Ökumene. Anschließend
besucht er den Erfurter Dom und das
Augustinerkloster. Auf diesen Ort fokussiert
sich das Interesse der Weltöffentlichkeit.
Martin Luther wurde hier 1507 zum Priester
geweiht, bevor er wenige Jahre später die
Reformation anzettelte und unwillentlich eine
Kirchenspaltung herbeiführte.
Ausgerechnet in diesem Kloster, zudem
heute evangelisch, beabsichtigt der Papst ein
35-minütiges Gespräch mit der Spitze der
Evangelischen Kirche (EKD). "Wir erwarten
keine Sensationen", hat Benedikt bereits in
einer Fernsehansprache Erwartungen an ein
Ende aller Streitigkeiten gedämpft. Der Ort
allein sei bereits eine starke Botschaft.
"Ich hätte mir nie träumen lassen, dass
der Papst kommt. Das grenzt an ein Wunder",
sagt Klosterkurator Lothar Schmelz.
Seelenruhig steht er neben der Orgel in der
kleinen, schmucklosen Augustinerkirche, in
der 300 Gäste - darunter Kanzlerin und
Bundespräsident - einen kleinen
Wortgottesdienst feiern werden. Die Töne
quietschen etwas. "Total verstimmt und
verdreckt", sagt ein Orgelfachmann, der seit
zwei Tagen die richtigen Tonlagen sucht.
Die größte Sorge von Peter Kittel ist das
Wetter. Er erhofft sich nicht Kaisersondern
sonniges Papstwetter. Bisher sieht es gut
aus. Der schwungvolle Bayer organisiert die
große Freiluftmesse im Eichsfeld, mitten auf
einer Kuhweide vor der kleinen Marienkapelle
Etzelsbach. Mehr als 60.000 Pilger werden
erwartet, 1.600 Toilettenhäuschen stehen
bereit. Wegen der katastrophalen Anbindung
wird die A 38 auf 65 Kilometer voll gesperrt
und als Busparkplatz genutzt. Gegen 17:30 Uhr
schwebt der Papst in einem Geschwader aus 13
Hubschraubern ein. Er wird im Papamobil einen
Giro durch die Menge drehen und ein
Abendgebet, eine Vesper, sprechen.
"Trotz 40 Jahren Einzäunung haben alle
zusammengehalten. Dass der Papst dies mit
seinem Besuch anerkennt, ist eine große
Freude", sagt Pfarrer Franz-Xaver
Stubenitzky. Er betreut die
Wallfahrtskapelle, eine von 14 im kleinen
Eichsfeld, das als katholische Enklave dem
DDR-Regime die Stirn geboten hat. Gelüftet
ist mittlerweile das Geheimnis, wo der Papst
anschließend übernachten wird: In einer
bescheidenen Zelle im Priesterseminar Erfurt.
Ein Schreibtisch, Bett, Schrank - und eine
kleine Nasszelle. Die Gemeinschaftsdusche
wird dem immerhin schon 84-jährigen nicht
zugemutet.
Seine letzte Station ist die große
Eucharistie-Feier auf dem Domplatz am
Sonnabend. Benedetto-Jubelrufe und
ausflippende Jugendliche wie zum
Weltjugendtag in Spanien darf er nicht
erwarten. Ein Bündnis von Papstgegnern will
auf dem Anger eine religionsfreie Zone
einrichten und gegen die Sexuallehre und
Verteufelung gleichgeschlechtlicher Liebe
protestieren. Etwa 6.000 Polizisten sind im
Einsatz. Auf den Domplatz darf nur, wer ein
Ticket hat, Fenster müssen verschlossen
bleiben. Am Wochenende strapazierte noch eine
Bombenwarnung auf der Krämerbrücke die
angespannten Nerven. 800 Malteserärzte
kümmern sich in Thüringen um die Pilger. Im
Eichsfeld sogar mit Fahrrad- und
Motorradstaffeln, um die Pilgerwege
abzusichern.
"Anders als auf Rockkonzerten haben wir
es zum Glück weniger mit Alkohol und Drogen,
sondern vermutlich eher mit Erschöpfungen
oder verknacksten Füßen zu tun", sagt
Christina Gold vom Einsatzstab. Um den Papst
kümmern sich ein eigener Leibarzt, Patrizio
Polisca, und Burkhard Pfaff. "Ich bin
beeindruckt, wie fit und geistig rege der
Heilige Vater ist", sagt der Malteser-Arzt
aus Bayern. Dabei hält es Benedikt wie einst
Churchill: no sports. Bislang unbestätigt ist
noch, ob sich der Papst mit Missbrauchsopfern
trifft. Auch Erfurt hatte vor einem Jahr
seinen Skandal. Eine Austrittswelle blieb dem
Bistum - mit 154.000 Gläubigen in Thüringen
eines der kleinsten weltweit - zwar erspart.
Aber die Hoffnungen sind groß, dass der Papst
neue Impulse gibt - das Motto der Reise
lautet nicht umsonst: Wo Gott ist, da ist
Zukunft.
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Text: Robert Büssow, Leipziger Volkszeitung (22.09.2011) Foto: |
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Papst lobt Öko-Bewegung
Viel Beifall nach Bundestagsrede / Messe vor
61.000 Gläubigen im Berliner Olympiastadion
Berlin.
Papst Benedikt XVI. hat zu Beginn seines
Deutschlandbesuchs eine Rückbesinnung auf die
christlichen Wurzeln angemahnt. In seiner
Rede im Bundestag forderte er zudem die
Politiker auf, konsequent für das Wohl der
Menschen einzutreten. Danach rief er im
Olympiastadion die deutschen Katholiken auf,
trotz Missständen nicht aus der Kirche
auszutreten.
Auf den Missbrauchsskandal in der
katholischen Kirche ging der Papst in seiner
mit Spannung erwarteten Rede im Bundestag
nicht ein. Auch umstrittene Themen wie die
ethischen Debatten über Stammzellforschung
und Präimplantationsdiagnostik sprach er
nicht direkt an. Dagegen lobte er aber unter
anderem die ökologische Bewegung in
Deutschland. Er appellierte an die Politiker,
die ganze Weite der Welt zu sehen und nicht
nur die rationalen Mechanismen, nach denen
sie angeblich funktioniere.
Nach der teils scharfen Debatte um die
Boykottankündigung etlicher Abgeordneter fiel
der Empfang für den Papst im Bundestag
freundlich aus. Zwar blieben viele
Oppositionspolitiker - vor allem der Linken -
fern. Doch erhielt der Papst vor Beginn und
zum Ende seiner Rede viel Applaus.
Am Abend (Donnerstag, 22. September 2011)
kamen dann im Berliner Olympiastadion rund
61.000 Gläubige zu einer Messe der
Superlative mit dem Pontifex zusammen.
Eindringlich rief der Papst die Katholiken
auf, trotz Negativschlagzeilen zu ihrer
Kirche zu stehen. "Manche bleiben mit ihrem
Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt
hängen", beklagte Benedikt in seiner stark
theologisch geprägten Ansprache, die weltweit
übertragen wurde. "Die Kirche ist das
schönste Geschenk Gottes." Überraschend hielt
der Papst zudem einen Teil der Liturgie in
lateinischer Sprache. In Deutschland ist das
heute nur noch in konservativen Kreisen
üblich.
Bei der Begrüßung durch Bundespräsident
Christian Wulff hatte der Papst zuvor die
zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem
Glauben beklagt. "Der Religion gegenüber
erleben wir eine zunehmende Gleichgültigkeit
in der Gesellschaft, die
Nützlichkeitserwägungen den Vorrang gibt."
Dabei sei die Religion Grundlage für ein
gelingendes Miteinander in der Gesellschaft.
Wulff brachte seinerseits die hohen
Erwartungen an den Papst-Besuch zum Ausdruck.
Er sagte mit Blick auf die Debatte über den
Ausschluss nach einer Scheidung
wiederverheirateter Katholiken von der
Kommunion, die Kirche sei immer von neuen
Fragen herausgefordert. Wulff ist selbst in
zweiter Ehe verheiratet.
Auf dem Flug nach Deutschland hatte
Benedikt vor Journalisten auch kurz den
Missbrauchsskandal angesprochen. Die Kirche
müsse lernen, solche Skandale auszuhalten und
jeden Missbrauch zu bekämpfen. Er könne
verstehen, dass Menschen, die den Opfern
sexuellen Missbrauchs durch Priester nahe
stünden, nicht mehr in dieser Kirche sein
wollten.
In der Berliner Innenstadt protestierten
gestern tausende Menschen gegen den Besuch,
der den Papst bis Sonntag noch nach Erfurt,
in das Eichsfeld und nach Freiburg führt.
Leitartikel:
Benedikt-Rede mit Kopf und Herz
von Olaf Majer
Die
Papst-Spötter auf Twitter haben geirrt:
Benedikt XVI. ist nicht in den Deutschen
Bundestag geeilt, um der FDP die letzte Ölung
zu geben. Er hat auch nicht dem geschiedenen
und wiederverheirateten katholischen
Bundespräsidenten die Leviten gelesen oder
den Berliner Gute-Laune-Bär Klaus Wowereit
samt Lebenspartner zum Teufel gejagt.
Deutschland wird nach Benedikts Rede kein
autoritärer Kirchenstaat und die Protestantin
Angela Merkel darf Kanzlerin bleiben. Alle
Aufregung im Vorfeld also umsonst?
Im Gegenteil. Die Benedikt-Rede war
aufregend, aber anders als gedacht. Wer hätte
gedacht, dass sich ein Papst mit den Nöten
der Parlamentarier so grundsätzlich
auseinandersetzt? Dass er fragt, woher wir
heute unser Rechtsverständnis beziehen, wo
doch im rationalen Politikbetrieb die
Mehrheit stehen muss und Euro-Kritiker unter
wachsenden Druck geraten? Dass der DAX just
in dem Moment um fünf Prozent fiel, als
Benedikt die Besinnung auf ganzheitliches
Denken von Natur und Vernunft forderte, mag
Zufall sein. Doch Benedikts Mahnung, dass
auch Politiker ein hörendes Herz brauchen und
der Mensch sich nicht selber schafft, war
eine starke Ansage in Krisenzeiten. Die hätte
selbst der aus dem Saal flüchtende Ur-Grüne
Hans-Christian Ströbele aushalten können.
Der Landsmann aus Rom hat den Fehler
vermieden, sich im Wünsch-Dir-Was-Katalog zu
verzetteln, der im Vorfeld der Erwartungen
immer dicker wurde. Er hat sich ganz im Stile
des Professors Ratzinger auf Wesentliches
konzentriert. Doch diesmal sprach neben dem
Kopf auch das Herz. Sein Lob für die
ökologische Bewegung in Deutschland brachte
ihm sogar Zwischenapplaus der verbliebenen
Grünen-Fraktion ein. Und sein Rat, der Mensch
solle sich so annehmen, wie er von Gott
angenommen ist, war mehr als Kritik an der
Gendiagnostik. Sie macht auch Hoffnung auf
mehr Liberalität gegenüber verschiedenen
Lebensentwürfen.
Der Wittenberger Theologe Schorlemmer hat
die Bundestags-Rede abgelehnt mit der
Befürchtung: Rom hat gesprochen, die Debatte
ist beendet. Nein, sie hat gerade erst
begonnen. Dass einige ignorante
Toleranz-Apostel im Parlament mitreden wollen
ohne zuzuhören, bleibt ein Ärgernis.
Herrliche Ironie ist dagegen, dass
ausgerechnet die Grünen für beste
Papst-Bilder sorgen: Europaabgeordneter
Reinhard Bütikofer ist Wetterpate für Hoch
Reneé, das Benedikt in strahlendes
Sonnenlicht rückt. Aber wie sagt schon der
Volksmund: Der Mensch denkt und Gott lenkt.
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Text: Maja Heinrich & Reinhard Urschel, Leipziger Volkszeitung (23.09.2011) Foto: AFP |
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Fotos: Stefanie Ramm |
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Papst dämpft
Ökumene-Träume
Benedikt XVI. würdigt Luther in Erfurt /
90.000 Gläubige pilgern zur Marienvesper ins
Eichsfeld
Erfurt.
Papst Benedikt XVI. hat gestern (Freitag, 23.
September 2011) Thüringen besucht.
Zehntausende Menschen feierten das Oberhaupt
der Katholiken. Bei einem Treffen mit der
evangelischen Kirche enttäuschte der Papst
allerdings Hoffnungen auf schnellen
ökumenischen Fortschritt. Am Abend kam er mit
Missbrauchsopfern zusammen.
Er habe kein "ökumenisches Gastgeschenk"
dabei, sagte Benedikt im Erfurter
Augustinerkloster, wo einst der Reformator
Martin Luther wirkte. Vorerst seien also
keine konkreten ökumenischen Schritte zu
erwarten. Zugleich aber würdigte er Luther.
Die Frage eines "gnädigen Gottes" habe Luther
"ins Herz getroffen" und hinter seinem
theologischen Suchen und Ringen gestanden,
sagte der Papst. Der Ratsvorsitzende der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD),
Nikolaus Schneider, sprach danach von einer
"faktischen Rehabilitation" Luthers. Die
Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche
Deutschlands bedauerte dagegen, dass Benedikt
in Erfurt nicht konkret auf die
500-Jahr-Feier der Reformation 2017
eingegangen war. Viele Gläubige hatten zudem
auf ein klareres Signal zur Überwindung der
Kirchenspaltung gehofft.
Ein weiterer Höhepunkt des Papst-Besuches
in Thüringen war gestern Abend eine
Marienvesper mit rund 90.000 Gläubigen in
Etzelsbach im Eichsfeld. Benedikt warnte
dabei in seiner Predigt davor,
Selbstverwirklichung als Ziel des Lebens zu
sehen. "Nicht die Selbstverwirklichung, das
Sich-selber-Haben- und Machen-Wollen, schafft
wahre Entfaltung des Menschen, wie es heute
als Leitbild des modernen Lebens propagiert
wird, das leicht in einen verfeinerten
Egoismus umschlägt." Stattdessen habe die
Gottesmutter Maria mit ihrer "Haltung der
Hingabe" ein Vorbild für gelungenes Leben
gegeben.
Am Abend traf sich der Papst in Erfurt
auch mit Opfern sexuellen Missbrauchs durch
Priester und kirchliche Mitarbeiter.
Anschließend sprach er mit Menschen, die sich
um Missbrauchsopfer kümmern und ihnen helfen,
wie Vatikan und Bischofskonferenz mitteilten.
Ein solches Treffen gehörte nicht zum
offiziellen Besuchsprogramm. Es war aber als
symbolische Geste erwartet worden.
Am heutigen Sonnabend will Benedikt noch
auf dem Domplatz in Erfurt eine Heilige Messe
feiern. Dann bricht er zur letzten Station
seines Deutschlandbesuchs nach Freiburg auf.
Zehn Leser dieser Zeitung bekamen
exklusiv die Gelegenheit, den Papst in
Thüringen zu empfangen. "Das war sehr
bewegend", sagte Peggy Sachse aus Leipzig.
Kommentar:
Benedikt XVI. verpasst historische
Chance
von Robert Büssow
Der
Papst wandelt in Erfurt auf den Spuren
Luthers. Das ist natürlich eine starke Geste.
Doch zu Recht haben viele Gläubige gerade
deshalb mehr erwarten dürfen als eine
höfliche Würdigung bisheriger
Annäherungsversuche.
Benedikt XVI. hat eine historische Chance
verpasst, die schmerzhaften Wunden und
Verletzungen, die sich beide Kirchen in fast
500 Jahren gegenseitig zugefügt haben, ein
wenig zu heilen und eine Brücke zu schlagen.
Man kann in einer guten halben Stunde sicher
nicht die Differenzen von Jahrhunderten
überwinden, doch stattdessen bremst der Papst
die Ökumene aus. Die katholische Kirche lässt
nicht mit sich verhandeln, ließ er in Erfurt
wissen. Nicht bei der Ordination von Frauen,
dem Zölibat oder dem Verbot eines gemeinsamen
Abendmahls in konfessionsverschiedenen
Familien. Der Papst erkennt die von Luther
begründete protestantische Abspaltung ja
nicht einmal als gleichrangig, sondern nur
als kirchenähnliche Gemeinschaft an. Damit
hat Benedikt sein Image als kompromissloser
Dogmatiker bestätigt, der er schon als
Präfekt der Glaubenskongregation war, und
viele Menschen enttäuscht, die sich in ihrem
Leben als Christen Erleichterungen von
theologischen Denkverboten erhofft hatten.
Seine starre Haltung und Betonung der
Tradition ist aber auch Teil seiner Rolle:
Benedikt versteht sich als Stellvertreter
Christi, und ist als solcher nicht
angetreten, um seine Privatmeinung zu äußern.
Immerhin muss er ein weltumspannendes Reich
katholischer Gläubiger zusammenhalten, das
bei zu schnellen Volten unter seinen Fingern
zerbröseln würde. Der Prozess der mühsamen
Annäherung in Trippelschritten geht weiter.
Es scheint bedauerlicherweise so, dass der
Papst selbst das größte Hindernis für die
Ökumene ist.
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Text: Olaf Majer & Robert Büssow, Leipziger Volkszeitung (24.09.2011) Foto: dpa |
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[Zum Vergrößern auf das Bild klicken.] |
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Fotos: Lutz Kinmayer & Markus Scholz |
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Papst beschwört Gläubige
Freiburg
(epd). Papst Benedikt XVI. hat am letzten Tag
(Sonntag, 25. September 2011) seines
Deutschlandbesuchs vor rund 100.000 Gläubigen
zur Einheit der katholischen Kirche
aufgerufen. Er rief in Freiburg zur Umkehr
und Erneuerung des persönlichen Glaubens auf.
Die großen Herausforderungen werde die Kirche
in Deutschland nur bestehen, wenn alle "in
Einheit zusammenarbeiten", sagte er.
Standpunkt:
Enttäuschte Hoffnungen
von Roland Herold
Noch
vor wenigen Tagen herrschte eine regelrechte
Papst-Euphorie in Deutschland. Nun aber, am
Ende des viertägigen Aufenthalts macht sich
allenthalben der große Papst-Kater breit. Der
Besuch Benedikt des XVI. scheint keinerlei
Fortschritte gebracht und stattdessen nur
bekannte Positionen zementiert zu haben.
Impulse für die Ökumene? Höchstens lauwarm.
Chancen für außereheliche
Lebensgemeinschaften? Keine Spur. Frauen als
Priester? Undenkbar.
Doch die Größe der Enttäuschung bemisst
sich ausschließlich an der Fallhöhe der
Hoffnung. Der Pontifex ist nicht als Reformer
angereist, sondern als Bewahrer. Wer anderes
erhofft hatte, muss sich im Nachhinein
Blauäugigkeit bescheinigen lassen. So bleiben
am Ende nur Gesten statt Taten. Mit einer
Ausnahme: Immerhin hat Benedikt XVI. die
deutschen Politiker im Bundestag ins Gebet
genommen und ein klares ökologisches
Bekenntnis abgelegt.
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Text: Leipziger Volkszeitung (26.09.2011) Foto: dpa |
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Unvergessliche Tage
Ministerpräsidentin Lieberknecht und Bischof
Wanke ziehen Bilanz des Papstbesuches in
Thüringen
Erfurt
(epd). Thüringens Ministerpräsidentin
Christine Lieberknecht (CDU) und der Erfurter
Bischof Joachim Wanke haben den Papstbesuch
als unvergessliches Ereignis gewürdigt.
Für Thüringens Ministerpräsidentin
Christine Lieberknecht hat der Besuch von
Papst Benedikt XVI. ihrem Bundesland
Eindrücke "von bewegender Symbolkraft"
gebracht. Lieberknecht äußerte sich zusammen
mit dem Erfurter Ortsbischof Joachim Wanke
nach der Abreise des Papstes bei einer
Pressekonferenz. "Sie sehen einen
erleichterten Bischof vor sich, der frohen
Herzens auf der vergangenen beiden Tage
zurückschaut", sagte Wanke und betonte noch
einmal ausdrücklich, Benedikt XVI. habe den
Freistaat stellvertretend für alle neuen
Bundesländer besucht.
"Wichtiges Zeichen der ökumenischen
Bewegung"
Lieberknecht hob vor allem das Treffen
mit Spitzenvertretern des Protestantismus
hervor. Es sei ein "wichtiges Zeichen der
ökumenischen Bewegung mit globaler
Tragweite". Im Unterschied zu anderen sei sie
nicht darüber enttäuscht, dass sich Benedikt
XVI. nicht zu Einzelfragen der Ökumene
geäußert habe, sagte die Ministerpräsidentin,
die von Beruf evangelische Theologin ist.
Vielmehr stimme sie mit dem Papst darin
überein, dass verschiedene Positionen in der
Ökumene nicht wie Verträge verhandelt werden
könnten. Bestehende Unterschiede müssten "in
aller Klarheit" und mit Geduld angegangen
werden. Lieberknecht rief zudem dazu auf, die
vom Papst ausgesprochenen Impulse auch in der
Politik aufzugreifen, etwa in christlichen
Parlamentariergruppen wie dem Evangelischen
Arbeitskreis der CDU. Lieberknecht zeigte
sich überzeugt, dass von dem ökumenischen
Treffen in Erfurt für die Vorbereitung des
Reformationsjubiläums 2017 "weitere Impulse
ausgehen werden".
Wanke hob hervor, der Papst habe eine
"Botschaft der Zuversicht" auch an Menschen
gerichtet, die der Kirche nicht nahestehen.
Er habe "angekämpft gegen die Gefühle der
Angst und Verlorenheit" etwa wegen der
Eurokrise. Zudem habe der Papst deutlich
gemacht, dass "das geistliche Grundwasser der
Religiosität" auch in der Welt der Moderne
passt, "wiewohl die konkreten Fragen bleiben".
"Thema Missbrauch ist keineswegs
abgeschlossen"
Bischof Wanke würdigte zudem das
vertrauliche Gespräch Benedikt XVI. im
Erfurter Priesterseminar mit
Missbrauchsopfern. Es mache deutlich, "dass
das Thema keineswegs abgeschlossen ist".
Wanke dankte den Behörden für die "sehr
konstruktive Zusammenarbeit" und den Bürgern
für ihr Verständnis, das sie den
Sicherheitsauflagen des Besuchs
entgegengebracht hätten. Auch Lieberknecht
sagte, die Thüringer seien ihrer Rolle als
Gastgeber "vollauf gerecht geworden".
Hintergrund:
Zahlen und Fakten zum Papstbesuch
Auswahl bemerkenswerter Zahlen und Fakten
zur Reise von Papst Benedikt XVI. nach
Deutschland:
An den fünf großen Gottesdiensten des
Papstbesuches haben etwa 310.000 Menschen
teilgenommen. Die größten Gottesdienste waren
die Eucharistiefeier in Freiburg (100.000)
und die Marienvesper in Etzelsbach (90.000).
Während seines viertägigen Besuchs - der
Papst weilte rund 105 Stunden in seinem
Heimatland - hielt das Kirchenoberhaupt 17
Predigten, Ansprachen und Grußworte.
Zum Papstbesuch hatten sich mehr als
2.400 Journalisten aus aller Welt
akkreditiert. Dazu kamen mehr als 800
Kameraleute und Techniker.
Die Kosten für den Papstbesuch beziffert
die Deutsche Bischofskonferenz auf 25 bis 30
Millionen EUR. Wieviel der Staat darüber
hinaus für die Sicherheit des Gastes ausgibt,
ist schwer zu beziffern.
Nach einer Umfrage der
Konrad-Adenauer-Stiftung sind 63 Prozent der
Deutschen stolz darauf, dass der Papst ein
Landsmann ist.
Der Besuch des Papstes war Anlass für den
größten Polizeieinsatz in der Geschichte
Thüringens. Mehr als 6.000 Beamte haben für
die Sicherheit des Gastes gesorgt. Zu den
rund 4.000 Beamten der Thüringer Polizei
kamen mehr als 1.400 Beamte aus anderen
Bundesländern und der Bundespolizei.
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Text: Tag des Herrn (02.10.2011) Foto: unbekannt |
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