Rückblick
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Bischof Reinelt geht in Ruhestand
Dresden-Meißen

Dresden. Der Bischof von Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, geht nach 24 Jahren in den Ruhestand. Papst Benedikt XVI. habe das Rücktrittsgesuch des 75-jährigen offiziell angenommen, teilte das Bischöfliche Ordinariat gestern (Montag, 20. Februar 2012) in Dresden mit. Benedikt hatte ihn im Frühjahr 2011 gebeten, noch im Amt zu bleiben. Damals waren mit dem Erzbistum Berlin und dem Bistum Görlitz zwei Bischofsstühle der östlichsten deutschen Kirchenprovinz unbesetzt und der Papstbesuch stand bevor. Nun wurde Reinelt die Last der Verantwortung für knapp 140.000 Katholiken in Sachsen und Ostthüringen von den Schultern genommen.

Der aus Niederschlesien stammende Reinelt war nach Stationen als Priester in Sachsen und Thüringen am 20. Februar 1988 zum Bischof geweiht worden. Das geistliche Oberhaupt der drittkleinsten Diözese unter den 27 deutschen Bistümern sah sich dabei auch als Ansprechpartner der etwa fünf Millionen Menschen, die in der zum Bistum gehörenden Region zwischen Kahla (Thüringen) im Westen und Zittau (Sachsen) leben. Zudem wirkte Reinelt aktiv in der Deutschen Bischofskonferenz. Einer der letzten Höhepunkte seiner Bischofszeit war die Seligsprechung des sorbischen Kaplans Alojs Andritzki.
Text: Simona Block, Leipziger Volkszeitung (21.02.2012)
Foto: dpa

"Lachen mit den Lachenden"
Dresdner Altbischof Joachim Reinelt über Revolution, Reisen und Ruhestand

Dresden/Leipzig. Die Nachricht war erwartet worden und kam zu Wochenanfang (Montag, 20. Februar 2012) dann doch überraschend: Joachim Reinelt, katholischer Bischof des Bistums Dresden-Meißen, geht in den Ruhestand. Der 75-jährige geht bewegt, aber nicht wehmütig. Im Interview erinnert er an Wegmarken seiner 24-jährigen Amtszeit.

Frage: Herr Altbischof, ist Ihnen diese neue Anrede noch fremd?
Joachim Reinelt: Ja, schon. Aber offiziell werde ich weiter mit Bischof angeredet, auch wenn ich nicht mehr die Diözese leite.

Sie wollten bereits zu Ihrem 75. Geburtstag Abschied nehmen. Warum bat Sie Papst Benedikt XVI., noch im Amt zu bleiben?
Ich vermute, der Papst wollte, dass ich nochmals das Weihnachtsfest als Diözesan-Bischof gestalten durfte. Das ist eine Art Wertschätzung und Freundlichkeit des Papstes für einen Bischof, mehr steckt nicht dahinter.

Sie waren einer der wenigen aktuellen Kirchenoberen, die noch Zeitzeuge der Friedlichen Revolution 1989 waren. Für Sie die stärkste Zäsur im Leben?
Ja, es war eine besonders einprägsame Zeit. Wir erlebten und machten für kurze Zeit Weltgeschichte, erkämpften uns die so lange vermisste Freiheit und lebten doch ständig in der Angst vor der Rache der SED-Oberen. Diese Zeit des Aufbruchs und des Abschieds von Altgewohntem hat auch mich sehr bewegt.

Welche Bilder von 1989 haben sich bei Ihnen festgesetzt?
Da war sicher die große Versammlung in der Dresdner Hofkirche am 9. Oktober und die Ereignisse am 4. Oktober am Hauptbahnhof.

Dort waren sie mittendrin im dramatischen Geschehen, als der Zug der DDR-Flüchtlinge aus der Prager Botschaft durch Dresden nach Hof fuhr.
Ja, ich habe auf eine Gruppe Ausreisewilliger eingeredet, die auf den Gleisen ihre Mitfahrt erzwingen wollten. Ich bat sie eindringlich, dass sie nicht ihr Leben aufs Spiel setzen sollten, die Züge hielten nicht an. Dann sprach ich mit einem Bahnpolizisten und sagte ihm, dass es unbedingt eine friedliche Lösung geben muss. Er antwortete mir, dass er Frau und Kinder habe und auch keine Eskalation wolle. Das waren in der Tat dramatische Stunden.

Joachim Gauck beklagt, wir hätten den Stolz von 1989 verloren und seien heute eher verzagt. Wo ist unser dieser Stolz abhanden gekommen?
Ich muss Joachim Gauck ein bisschen widersprechen. Bei den Menschen, die bei den Demos in Leipzig, im Vogtland, in Dresden wirklich dabei waren, ist der Stolz auf das damals Erreichte durchaus noch da. Aber es ist nun mal so, dass man sich nicht ewig im Vergangenen sonnen kann.

Katholiken in Sachsen sind eine Minderheit. Kam dieses fast familiäre Miteinander Ihrem Amtsverständnis vom "Bruder Bischof" entgegen?
Ich bin froh, dass ich nicht wie im Mittelalter als Bischof auch noch Landesfürst sein musste. Ich habe es immer als angenehm gefunden, einem überschaubaren Bistum vorzustehen. Da kann man viel mehr auf persönliche Sorgen und Freuden der Menschen eingehen. Diese Kontakte werden auch bleiben.

Auch Protestanten fühlten sich von Ihnen angesprochen, wie beim Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden. Sind wir in der Ökumene schon weiter, als es manchmal von Rom gewollt ist?
Ich habe eher das Gefühl, dass man sich in Rom freut, wie weit wir in Sachsen in der Ökumene schon gekommen sind. Ich halte es in der Ökumene mit Benedikt XVI.: 80 Prozent haben wir Gemeinsamkeiten, die müssen wir betonen und nicht das Trennende.

Schmerzhaft sind die sexuellen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Am Zölibat wollen Sie dennoch nicht rütteln, warum?
Weil die Missbrauchsfälle nichts mit dem Zölibat zu tun haben. Aber es stimmt: Die Aufarbeitung dieser Fälle ist schmerzhaft, aber ein unbedingt notwendiger Reinigungsprozess. Nur so können wir künftig diese furchtbaren Übergriffe auf Kinder und Jugendliche verhindern oder rasch aufklären.

In Ihre Amtszeit fällt in Sachsen der Kampf um die Sonntagsruhe. Wird dieses Streiten gegen grenzenlosen Konsum auch ein Dauerthema für Ihren Nachfolger bleiben?
Ja, das wird wohl leider so sein. Bei aller Freude am Konsum: der Mensch braucht Atempausen. Dafür steht besonders der Sonntag.

Was macht Joachim Reinelt künftig als Bischof im Unruhestand?
Ich werde weiter Gottesdienste feiern. Ich will weiter Lachen mit den Lachenden und Weinen mit den Weinenden. Ich freue mich aber auch auf das Reisen, besonders in Sachsen, und das ganz ohne Termindruck. Wir haben eine wunderbare Landschaft, die es verdient hat, richtig entdeckt zu werden.
Text: Olaf Majer, Leipziger Volkszeitung (25.02.2012)
Foto:

Am Weihetag begann der Ruhestand
Der Papst hat Bischof Joachim Reinelts Rücktrittsgesuch angenommen

Dresden (kpi). Nach 24 Dienstjahren als Bischof von Dresden-Meißen ist Joachim Reinelt (75) am Montag in den Ruhestand getreten. Papst Benedikt XVI. hat das Rücktrittsgesuch mit Wirkung zum 20. Februar 2012, seinem 24. Weihetag, offiziell angenommen.

Bereits Monate vor seinem 75. Geburtstag im vergangenen Oktober hatte Joachim Reinelt im Vatikan sein altersbedingtes Rücktrittsgesuch eingereicht. Der Papst hatte den erfahrenen Bischof jedoch gebeten, zunächst über diesen Termin hinaus im Amt zu bleiben. Immerhin waren mit dem Erzbistum Berlin und dem Bistum Görlitz im Frühjahr 2011 zwei Bischofsstühle der östlichsten deutschen Kirchenprovinz unbesetzt. Zudem stand der Papstbesuch in den neuen Bundesländern unmittelbar bevor. Unter den 27 deutschen Diözesanbischöfen sind lediglich die Kardinäle Meisner (78) und Lehmann (75) sowie der Erfurter Hirte Joachim Wanke (70) länger im Amt als Bischof Reinelt.

Für das Bistum Dresden-Meißen beginnt nun die Phase der sogenannten Sedisvakanz, also die Zeit, in der das Bischofsamt nicht besetzt ist. Das Domkapitel wählte am 21. Februar den bisherigen Generalvikar Michael Bautz zum Diözesanadministrator. Er wird das Bistum bis zur Neubesetzung des Bischofsstuhls leiten.

Zur Wahl eines neuen Bischofs für das Bistum Dresden-Meißen wird dem Domkapitel ein Vorschlagsrecht eingeräumt. Dazu legen die Domkapitulare in Rom eine aktuelle Liste geeigneter Kandidaten vor. Darüber hinaus war der Bischof von Dresden-Meißen angehalten, dem Vatikan alljährlich eine Zusammenstellung geeigneter Kandidaten zuzusenden. Unter Würdigung dieser Kandidatenlisten wird in Rom eine Auswahl mit drei Vorschlägen getroffen, die immer mindestens einen Kandidaten aus dem Bistum Dresden-Meißen enthalten soll. Aus dieser Dreiergruppe wählt dann das Domkapitel in geheimer Wahl den neuen Bischof.
Text: Tag des Herrn (26.02.2012)
Foto: Dorothee Wanzek

Ein Bischof, der viele ermutigte
Bischof Joachim Reinelt im Ruhestand - Würdigungen von Kirchenvertretern und Politikern

Dresden (kpi/tdh). Seit 20. Februar 2012 ist Bischof Joachim Reinelt mit dem Segen des Papstes Ruheständler. Vertreter aus Kirche und Politik haben den langjährigen Bischof von Dresden-Meißen aus diesem Anlass gewürdigt.

"Dir gebührt höchster Respekt für Deinen selbstlosen Einsatz in dieser Zeit, die unter dem Joch einer Diktatur zahlreiche Schwierigkeiten hervorbrachte", erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, in einem am 20. Februar veröffentlichten Brief an Bischof Reinelt. Papst Benedikt XVI. hatte zuvor dessen altersbedingtes Rücktrittsgesuch angenommen.

Joachim Reinelt sei es immer um eine Verbindung von Kirche und Gesellschaft gegangenen, so schreibt Robert Zollitsch weiter. Er habe die christlichen Werte sowohl zu Zeiten der DDR als auch nach der Wiedervereinigung stets öffentlich verkündet und politisch unmissverständlich Stellung bezogen. Das Glaubenszeugnis von Bischof Reinelt, sein priesterlicher Dienst und viele Ermutigungen innerhalb der Bischofskonferenz machten seinen Abschied schwer: "Du wirst den Gläubigen Deines Bistums fehlen, Du wirst auch uns in der Bischofskonferenz fehlen."

"Jedem Einzelnen Halt und Hoffnung gegeben"

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) betonte, Reinelt habe sich um die Menschen in Sachsen verdient gemacht. Im Vertrauen auf Gott habe er den Menschen in den Zeiten der Diktatur beigestanden und ihnen Mut zur Bewahrung menschlicher Würde in christlicher Verantwortung zugesprochen. Er habe "jedem Einzelnen Halt und Hoffnung" gegeben. Als Beispiel nannte Tillich die Flutkatastrophe in Sachsen vor zehn Jahren.

Der Caritasdirektor für das Bistum Dresden-Meißen, Matthias Mitzscherlich, lobte das Wirken Joachim Reinelts für die Caritas. Der Bischof habe während seiner Amtszeit immer wieder auf die Situation der "Armen und sozial Schwachen" in der Gesellschaft hingewiesen, betonte Mitzscherlich. Er habe die Erfordernisse der kirchlichen Seelsorge und die Leitung eines Diasporabistums mit dem Blick auf die leidenden Menschen in der Gesellschaft verbunden.

Seit 1988 leitete Reinelt als Nachfolger von Gerhard Schaffran das 1921 wiedergegründete Bistum Dresden-Meißen und erlebte in seiner 24-jährigen Dienstzeit vielfältige Veränderungen: Zwei Staatssysteme wechselten sich ab. Drei DDR-Staatsratsvorsitzende und eine DDR-Volkskammerpräsidentin kamen und gingen. Die Regierungsperioden zweier Bundeskanzler und der ersten Bundeskanzlerin fielen in seine Amtszeit. Er erlebte fünf Bundespräsidenten und drei sächsische Ministerpräsidenten. Als Bischof wirkte er unter Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Auf Seiten der evangelisch - lutherischen Landeskirche lernte er drei sächsische Landesbischöfe als Amtsbrüder kennen.

Künftig mehr Zeit zum Wandern und Lesen

Nach der Wende engagierte er sich vor allem für den Aufbau katholischer Schulen, der Katholischen Akademie sowie caritativer Einrichtungen. Auch trat er dafür ein, dass sich die in der DDR aus der Öffentlichkeit verdrängten Kirchengemeinden zur Gesellschaft hin öffneten.

In der Deutschen Bischofskonferenz leitete er 15 Jahre die Kommission für caritative Fragen, zudem war er stellvertretender Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen. Zuvor stand er an der Spitze der Arbeitsgruppe für Umweltfragen.

Nach Jahren, in denen der Bischof Chancen und Schwierigkeiten der deutschen Wiedervereinigung zu meistern hatte, und in die neben vielen schönen Momenten wie der Seligsprechung des sorbischen Kaplans Alojs Andritzki auch Tiefpunkte wie die Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals fielen, wird Joachim Reinelt in Zukunft sicher mehr Zeit für seine Hobbys haben.

Zeit zum Reisen, zum Wandern und Radfahren. Zeit für Kunst, Kultur und gute Bücher. Und ganz sicher wird der Mann, der ein Leben lang voll Freude und Überzeugung als Priester und Bischof wirkte, auch in Zukunft als Seelsorger für die Menschen da sein.
Text: Tag des Herrn (26.02.2012)
Foto: unbekannt

Liebenswürdiger Hirte und Seelsorger
Dresdner Alt-Bischof Reinelt offiziell verabschiedet / Nachfolgersuche noch im Gange

Dresden. 24 Jahre war Joachim Reinelt der Bischof des Bistums Dresden-Meißen. Auf Wunsch des Papstes verlängerte der 75-jährige sogar um ein paar Monate. Zur offiziellen Verabschiedung in den Ruhestand sangen nicht nur Honoratioren der katholischen Kirche Lobeshymnen.

Zwei Monate nach dem Wechsel in den Ruhestand ist der Alt-Bischof des Bistums Dresden-Meißen Joachim Reinelt gestern (Donnerstag, 26. April 2012) in Dresden offiziell verabschiedet worden. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, würdigte den 75-jährigen als "Missionar im besten Sinne des Wortes" in bewegten Zeiten. Er habe sich mit tatkräftigem Engagement, stetem Charme und beeindruckender Liebenswürdigkeit den Herausforderungen als Hirte und Seelsorger gestellt. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) lobte Reinelts Beitrag zum Dialog von Kirche und Staat und für den Glauben im Freistaat, in dem drei Viertel der Bevölkerung nicht gläubig seien.

Zollitsch sprach Reinelt "höchsten Respekt" für dessen selbstlosen Einsatz und das stete Eintreten für den Glauben in der Diktatur, der gefährlichen Wendezeit und seitdem aus. "Du hast die christlichen Werte ... stets mit Nachdruck öffentlich zur Geltung gebracht und dabei auch politisch unmissverständlich Stellung bezogen", betonte er auch mit Verweis auf Reinelts Eintreten gegen Neonazis. Reinelt habe zudem intensiven Anteil an der Vereinigung der Bischofskonferenz. "Es ist dir zu verdanken", so Zollitsch, "dass die katholischen Gläubigen zwischen Ost und West einander näher gerückt sind."

Tillich hob Reinelts Engagement im Bildungsbereich hervor, das sich in vielen Schulneugründungen zeige. Tillichs Amtsvorgänger und Laudator Kurt Biedenkopf (CDU) dankte Reinelt für den starken Willen, wenn Widerstände auftauchten. Auch der Dialog von Kirche und Staat sei dessen Zielstrebigkeit zu verdanken. Der Bischof der Evangelischen Landeskirche Sachsens Jochen Bohl betonte das ökumenische Zusammenwirken mit Reinelt. "Die Zusammenarbeit der Bischöfe in ökumenischem Geist hat beiden Kirchen gut getan und das christliche Zeugnis in säkularer Umgebung gestärkt."

Der aus Niederschlesien stammende Reinelt war nach Stationen als Priester in Sachsen und Thüringen am 20. Februar 1988 zum Bischof geweiht worden. Sein Dienst verlängerte sich auf Wunsch von Papst Benedikt XVI., weil Mitte 2011 zwei Bischofsstühle der östlichsten deutschen Kirchenprovinz unbesetzt waren. Erst am 20. Februar wurde mit Reinelt dann als einer der dienstältesten Bischöfe Deutschlands aus der Verantwortung entlassen. Er nimmt während der Nachfolgersuche weiter Aufgaben wahr, die nur ein Bischof machen kann.
Text: Simona Block, Leipziger Volkszeitung (27.04.2012)
Foto: dpa

Bischof sein für alle
Zum Abschied wurde Bischof Joachim Reinelt für sein gesellschaftliches Engagement gewürdigt

Dresden. "Ich wollte kein Bischof sein, der nur die Katholiken im Blick hat. Stattdessen war es mir wichtig, mit ihnen gemeinsam für alle da zu sein, die auf dem Gebiet dieses Bistums leben", sagte Joachim Reinelt beim Festakt anlässlich seiner Verabschiedung als Bischof von Dresden-Meißen.

Wie sehr Bischof Reinelt diesen Vorsatz mit Leben erfüllt hat, war in Wortbeiträgen und Reaktionen am Tag seines Abschieds immer wieder zu hören. Auch der ehemalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf nutzte seinen Festvortrag zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für eine kirchliche Horizonterweiterung. Dabei rief er auch eine Rede in Erinnerung, die Joachim Reinelt am 12. September 2001 vor tausenden Jugendlichen gehalten hatte, die unter dem Eindruck der Terroranschläge des Vortages spontan in die katholische Kathedrale geströmt waren. "Der Bischof hat ihre Not erkannt und ihnen in einer großartigen Predigt genau das gegeben, was sie in dieser Situation brauchten", erzählte Kurt Biedenkopf. Er habe große Zweifel an den Ergebnissen einer jüngsten Umfrage des statistischen Landesamtes, derzufolge nur ein sehr geringer Prozentsatz der ostdeutschen Bevölkerung an Gott glaube. Er halte es für einen "unzulässigen Kurzschluss", aus der Kirchenzugehörigkeit die Gottgläubigkeit abzuleiten. Seiner Erfahrung nach gebe es hierzulande weitaus mehr Menschen, die religiösen Themen gegenüber aufgeschlossen seien und nach Antworten auf ihre Sinnfragen hungerten. Anders sei es nicht zu erklären, dass sich jahrelang Zehntausende vor der Ruine der Frauenkirche zu vorweihnachtlichen Vespergottesdiensten versammelt hatten und selbst bei Minusgraden oft schon zwei Stunden vorher präsent waren. Anders sei es auch nicht zu erklären, dass so viele Nichtchristen vor einigen Tagen die sächsische Gratulations-Delegation zum Papst-Geburtstag begleiteten und dort von einer "Faszination, der man sich nicht entziehen kann" sprachen.

Biedenkopf ermutigt zu kirchlichen Flash-Mops

"Die Menschen werden wieder entdecken, dass Wirtschaftswachstum, höhere Löhne und neue Autos ihren Hunger nicht stillen können und dass es ohne Glauben keine Sinngebung gibt", zeigte sich Biedenkopf gewiss. Es gebe viele Anzeichen einer Bereitschaft, die Botschaft der Kirchen zu hören. Allerdings müssten Kirchen wieder lernen, wie man die Menschen, die noch nicht in ihren Reihen angekommen sind, erreicht und anspricht. Dabei könne auch eine größere Aufgeschlossenheit den neuen Medien gegenüber hilfreich sein. "Warum nutzt nicht auch die Kirche verstärkt die technischen Möglichkeiten, kurzfristig viele Menschen auf bestimmte Ziele hin zu mobilisieren?", gab er zu bedenken.

Zukunftsweisendes sah er zudem in der Verbindung von Priestertum und Caritas, wie sie Joachim Reinelt lebe. Das konkrete Engagement mit den Menschen und für sie schaffe Nähe und trage zur Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses bei. Der Staat könne den Halt und die Sinngebung, die Bedingung für seine eigene Existenz seien, nicht selbst schaffen. Dafür brauche es Menschen wie Bischof Reinelt.

Er habe den katholischen Bischof als Ratgeber nicht zuletzt wegen seiner Fähigkeit zum Mutmachen stets geschätzt: "Für Sie gab es nie Probleme, sondern Herausforderungen", sagte ihm der ehemalige Ministerpräsident.

Reinelt habe ihm immer wieder Mut gemacht, auch politische Ziele durchzusetzen, die quer zum Strom der Zeit lägen, hob der amtierende Ministerpräsident Stanislaw Tillich hervor. Unter anderem habe er stets die Zusammengehörigkeit von Freiheit und Verantwortung hervorgehoben und sich - nicht nur in den Schulen in Bistumsträgerschaft - für wertorientierte Bildung und Erziehung stark gemacht.

Der Erfurter Bischof Joachim Wanke würdigte seinen scheidenden Amtskollegen als "Bischof des innerdeutschen Dialogs". So habe er bald nach der Wende zu einem gesamtdeutschen Katholikentag nach Dresden eingeladen. Mit dem Ziel des besseren gegenseitigen Verständnisses habe er konstruktiv und oft humorvoll die Erfahrungen des Ostens in die Bischofskonferenz und andere kirchliche Begegnungen eingebracht, betonte Wanke.

"Unser Maßstab muss das weite Herz Gottes sein"

Bischof Reinelt selbst zeigte sich im Rückblick dankbar für die Gelegenheit, zum Zusammenwachsen des deutschen Volkes und zur Gestaltung des Neuanfangs für die einstigen DDR-Bürger beizutragen. "Es gibt da noch viel zu tun, aber wir durften dabei helfen, den Anfang zu machen." Auch als emeritierter Bischof wolle er sich weiter dafür einsetzen, Grenzen abzubauen und zu weiten, kündigte er an. "Wir sollten uns in der Kirche nicht soviel Mühe machen, uns von Menschen abzugrenzen. Gott allein entscheidet, wer zu ihm gehört. Und Er hat ein sehr weites Herz."
Text: Dorothee Wanzek, Tag des Herrn (06.05.2012)
Fotos: Michael Baudisch
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